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Zsifkovics: "Keine Zäune auf kirchlichem Grund!"

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Mit einer klaren Absage reagiert Burgenlands Oberhirte und europaweiter Flüchtlingskoordinator der EU-Bischofskonferenzen auf das Ansuchen von Landespolizeidirektion und Innenministerium, auf kirchlichen Grundstücken einen Grenzzaun zu Ungarn zu errichten – Bischof: "Bin mir der schwierigen Lage und der Verantwortung des Staates bewusst, kann aber aus Gewissensgründen nicht zustimmen."

Eisenstadt, Wien – Der links und rechts des Grenzüberganges Moschendorf geplante kilometerlange Zaun zu Ungarn soll auch über zwei kirchliche Grundstücke führen. Dazu wurden der betroffenen Pfarre im Zuge einer Grundeigentümerveranstaltung entsprechende Formulare für Vereinbarungen mit der Landespolizeidirektion Burgenland überreicht. Jetzt erging dazu die Absage der Liegenschaftsabteilung der Diözese Eisenstadt. Eine solche Maßnahme "widerspräche dem Geist des Evangeliums, der klaren Botschaft von Papst Franziskus an Europa und im Besonderen einer Diözese, die jahrzehntelang im Schatten des Eisernen Vorhangs existierte und in den vergangenen Monaten keine Anstrengungen gescheut hat, um Menschen auf der Flucht die Türe zu öffnen, ihnen ein Dach über dem Kopf, Würde und Herzenswärme zu geben" heißt es wörtlich in dem gestern Nachmittag an Landespolizeidirektion und Pfarre ergangenen Schreiben. Laut kirchlichem Recht hat die Diözese bei Liegenschaftsangelegenheiten der Pfarren eine Aufsichts- und Zustimmungspflicht.

Wurzelbehandlung statt Scheingefechte
Dem Entscheid vorausgegangen war die Befassung der Diözesanleitung in Eisenstadt. Bischof Zsifkovics erörterte die Angelegenheit mit seinem engsten Mitarbeiterstab, dem Bischofsrat, die Entscheidung war schnell klar: "Wir haben beim schlimmsten Flüchtlingsansturm im vergangenen Jahr, als in eineinhalb Monaten an die 200.000 Menschen in Nickelsdorf über die Grenze kamen, quasi über Nacht in kirchlichen Gebäuden ca. tausend Notunterkünfte für erschöpfte Familien, für Frauen, Kinder und alte, geschwächte Menschen geschaffen. Und jetzt sollen wir auf kirchlichen Grundstücken Zäune aufstellen? Da spüre ich schon körperlich den reinsten Widerwillen", so der Eisenstädter Bischof, dies noch dazu "im Jahr der Barmherzigkeit und in einer Diözese, die dem Vorbild des Heiligen Martin zugetan ist!" Zsifkovics begründet seinen Protest aber auch argumentativ: "Ich bin selbst am Eisernen Vorhang aufgewachsen und weiß noch, was es für uns alle und für das Burgenland an Freiheit und Aufbruch bedeutete, als der Zaun endlich fiel. Ich habe wiederholt öffentlich gesagt, dass ich neue Zäune für keine Lösung des Flüchtlingsproblems halte. Wir müssen die heutigen Probleme an der Wurzel anpacken und das heißt: Schluss mit dem organisierten Schlepperwesen, Schluss mit Waffenlieferungen aus Europa, Schluss mit Krieg und gezielter Destabilisierung in Nahost, Schluss mit der rohstoffbasierten und landwirtschaftlichen Ausbeutung Afrikas durch europäische Konzerne! Alles andere sind Scheingefechte."

Verständnis für schwierige Lage der Sicherheitsbehörden – kein Veto gegen Aufstellung von Container
Vollsten Respekt und Dank zollt Zsifkovics der burgenländischen Exekutive, die bereits in der Vergangenheit Großartiges bei der konfliktlosen Bewältigung massenhafter Grenzübertritte geleistet habe. Auch die Kirche leiste ihren Beitrag zum Zusammenleben der Menschen, so der Bischof, und unterstütze Gesellschaft und Staat, wo immer sie es ohne Wertekonflikt könne. Das sei auch der Grund, warum die Diözese mit der vorübergehenden Aufstellung eines Containers auf Kirchengrund zur Unterbringung der mit Agenden der Grenzkontrolle betrauten Beamten kein gravierendes Problem habe. "Einer solchen Maßnahme wurde im gestrigen Schreiben der Liegenschaftsabteilung zugestimmt", bestätigt Lois Berger, diözesaner Liegenschaftsverwalter.

Zsifkovics: "Christliche Position beziehen, auch wenn es manchmal weh tut"
Im Interview mit dem Medienbüro der Diözese Eisenstadt darauf angesprochen, ob nicht auch viele österreichische Katholiken aus Sicherheitsbedenken für einen Zaun seien, antwortet der Eisenstädter Bischof: "Im Letzten muss jeder seine Haltung vor seinem Gewissen und vor Gott prüfen. Ich bin keine Sitten- und Glaubenspolizei. Aber ich glaube zu wissen, was die Haltung der Kirche dazu ist. Und die möchte und muss ich wiedergeben, auch wenn das bei vielen auf Unverständnis stößt und mir in Briefen mitgeteilt wurde, dass man Leute wie mich, ‚die alles ins Land hereinlassen’, vor Jahrhunderten als Volks-, Religions- und Kulturverräter auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte. Ich verstehe die Ängste der Menschen, die ich ja rund um mich wahrnehme. Aber ich wäre ein schlechter Bischof, wenn ich auf diese Ängste keine christlichen Antworten geben könnte. Und diese Antwort ist nicht der Zaun. Sondern notfalls das Loch im Zaun!"

Lokales kirchliches Krisenmanagement
Das Thema Flucht und Migration scheint sich zu einem der Kernthemen des Eisenstädter Bischofs zu entwickeln. Früher als die Politik hat die Diözese Eisenstadt sich auf die Flüchtlingskrise vorbereitet. Bereits Anfang 2015 wurde der Baukurator der Diözese, Markus Zechner, zum diözesanen Koordinator für Flüchtlingsunterbringung bestellt. Für die Renovierung und Adaption potenzieller Quartiere wurde ein Sonderbudget bereitgestellt und der Auftrag erteilt, burgenlandweit alle Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen zu überprüfen. Im Vorfeld wurden intensive Gespräche mit Pfarren geführt, die baulichen Gegebenheiten geprüft und die entsprechenden Maßnahmen zur Adaption getroffen. Auf einem kirchlichen Krisengipfel im Frühjahr 2015 wurde die Vereinbarung getroffen, in ausgewählten Pfarrhöfen Plätze für Flüchtlinge zu schaffen. Als die Welle kam, war man gerüstet. Bischofs Zsifkovics hat bis zuletzt wiederholt die Parole ausgegeben: "Pro burgenländischer Pfarre mindestens eine Flüchtlingsfamilie!" Ein Wunsch, dem sich noch lange nicht alle burgenländischen Pfarren angeschlossen haben.

Anerkennung auf europäischer Ebene
Auf der Herbstvollversammlung 2015 der EU-Bischofskommission ComECE wurde Bischof Zsifkovics in Paris zum neuen Koordinator für Flüchtlingsfragen innerhalb der Europäischen Union ernannt. Der Eisenstädter Diözesanbischof, der zugleich Europabischof der österreichischen Bischofskonferenz und deren Vertreter bei der ComECE ist, fungiert seither als zentrale Ansprechperson für kirchliche Positionen und Aktivitäten in der wohl brisantesten und dringlichsten politischen Frage auf europäischer Ebene. In dieser Funktion verfasste er bereits im Dezember des Vorjahres ein grundlegendes europaweit verbreitetes Positionspapier zum Thema, das von COMECE-Präsident Reinhard Kardinal Marx an die Institutionen sowie die Staats- und Regierungschefs der EU übermittelt wurde. Im Februar 2016 rief Zsifkovics an der Hochschule Heiligenkreuz Bischöfe aus Nahost, den Balkanstaaten und den Migrations-Zielländern Mittel- und Nordeuropas zusammen, um über Lösungsansätze in der Flüchtlingskrise zu diskutieren. "Facing a Crisis with many faces", so der Titel der Konferenz, diente als weiterer praktischer Schritt zur Krisenbewältigung und wurde gleichzeitig zur wichtigsten Drehscheibe von Bischöfen aus den Herkunftsländern von Flüchtlingen im Nahen Osten, aus den Transit- und den Aufnahmeländern Europas.

Weiterführende Informationen:
www.martinsfest.at

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