© Diözese Eisenstadt |
Um den heutigen Herausforderungen und der Zukunft mit Kreativität begegnen zu können, "müssen wir unsere Wurzeln pflegen und bewahren" und uns der "Seele Europas", ihrer Identität und wesentlichen Werte bewusst werden: Das betont der Eisenstädter Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics, zugleich der für Europafragen zuständige Bischof in der Österreichischen Bischofskonferenz, in der Radiosendung "Theo.Logik" des Bayrischen Rundfunks. "Die Frage nach der Seele Europas ist für mich gleichbedeutend mit der Frage nach den Wurzeln Europas", so der Bischof in der am Montag, dem 9. Mai, ausgestrahlten Sendung.
Jüdisch-christliches Menschenbild als "Grundwasser" Europas
Im Aufgreifen und weiterdenkenden Ausfalten der Metapher von Europa als einem "uralten Baum" benennt der Europabischof "zwei große Ströme, aus denen dieser Baum sein Grundwasser bezieht: die humanistische Antike und das jüdisch-christliche Menschenbild". Das heißt, mit Europa ist die Genese und Geltung eines Bewusstwerdens des "unendlichen Wertes der menschlichen Seele vor Gott" untrennbar verbunden. Mit einem solchen Erbe sei die Seele Europas immer eine gleichsam balancierende Künstlerin gewesen, die sich "auf dem Drahtseilakt der Zeit mit fast traumwandlerischer Sicherheit zwischen mitunter erschreckenden Extremen hindurchbewegt" habe. Europa, das sei die große Geburtshelferin der Demokratie, aber eben auch der Diktatur gewesen, der Druckerpresse und der damit verbundenen Verbreitung des freien Wortes, aber eben auch der Guillotine. Europa, das sei das Laboratorium für die Entwicklung des Penicillins, aber auch für die Errichtung von Gaskammern gewesen. Europa, das ist der Kontinent des "heiligen Franziskus und Hitlers, des modernen Sozialversicherungssystems und des Scheiterhaufens", so der Bischof im Bayrischen Rundfunk.
Zsifkovics: Europa darf kein Ort der Extreme, kein Museum werden
Entscheidend sei jedoch, dass dieser Wurzelgrund Europas mit all seiner historischen Ambivalenz einen Weg weise, "der für das Gemeinwohl und für die Würde des Einzelnen nach oben immer wieder ein Schlupfloch findet. Wenn der alte Baum Europa neue Früchte hervorbringen soll, müssen wir Extremismus vermeiden. Sonst wird Europa ein Museum und die europäischen Institutionen ein Club der Nekrophilen", sagt Europabischof Zsifkovics wörtlich.
Flüchtlingskrise nur durch "Wurzelbehandlung" lösbar
Seine Entscheidung, keine Anti-Migrations-Zäune auf kirchlichen Grundstücken zuzulassen, sieht Bischof Zsifkovics genau als ebendiese "Verweigerung eines solchen Extrems, das in meinen Augen nicht nur die europäische Seele der antiken Xenophilia, also der großen europäischen Tradition der Gastfreundschaft, und der christlichen Barmherzigkeit beleidigt, sondern auch die europäische Vernunft". Eine solche Stimme der Vernunft, wie sie etwa ein Sigmund Freud repräsentiere, "sagt uns, dass Heilung auch in der europäischen Flüchtlingskrise an der Wurzel stattfinden muss und nicht durch Symptomunterdrückung und Oberflächenretusche mit Hilfe von ein paar Kilometern Maschendrahtzaun", betont Bischof Zsifkovics.
Die Radiosendung "Theo.Logik. Über Gott und die Welt" wird jeden Montag um 21:05 Uhr im Bayrischen Rundfunk (Bayern 2) ausgestrahlt und wendet sich ihrem Selbstverständnis gemäß an alle neugierigen und nachdenklichen Hörerinnen und Hörer, die von einem Radio-Programm mehr erwarten als "fast-food-Information". Die Bandbreite der vorgestellten und diskutierten Hintergrundthemen reicht vom Austausch zwischen Theologie und modernen Naturwissenschaften, zu Glaubensfragen in der heutigen Zeit, auch mit Bezug auf agnostizistische und atheistische Lebensentwürfe, über Fragen an die Ökumene und den Dialog der Religionen bis hin zu ethischen Grundsatzfragen, etwa mit Blick auf den Anfang oder das Ende menschlichen Lebens.
Die Podcast-Aktualisierung der jeweiligen Sendung ist jeden Dienstag über die Webseite abrufbar.