Bischof Zsifkovics an der Klagemauer in Jerusalem im Jahr 2014 © Diözese Eisenstadt/Gerald Gossmann |
"Eine christliche Identität und ein wahres Christsein kann es ohne das versöhnende, achtende und anerkennende Ja zum jüdischen Du nicht geben": Das betont Diözesanbischof Ägidius J. Zsifkovics im Kontext der Gedenken an die Novemberpogrome und damit sukzessive einsetzende, massenhaft-industriell geplante und umgesetzte Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nationalsozialisten. "Die Shoah ist der untilgbare, der unfassbare Schandfleck der Geschichte. Die Erinnerungskultur im Sinne eines mitfühlenden Eingedenkens an das jüdische Leid ist ebenso Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit des Christentums wie die Solidarität mit dem Volk Israel gegenüber neuen Tendenzen und Formen des Antisemitismus und des Judenhasses", so der Bischof.
Scharfe Zurückweisung des Antisemitismus
Dabei machte der Eisenstädter Diözesanbischof klar, dass sich Judenfeindschaft und christlicher Glaube wesenhaft und kontradiktorisch ausschließen: "Jede Form von Antisemitismus ist mit dem Wesen des Christentums unvereinbar." Antisemitismus richte sich gegen den Juden und Christen gemeinsamen Gott, richte sich gegen das Evangelium, gegen Jesus, den jüdischen Sohn einer jüdischen Mutter. "Es gibt keine Rechtfertigung für den Hass gegen Juden, für die Abwertung und Herabsetzung ihres Jüdisch-Seins", so der Bischof, der mit Sorge und scharfer Zurückweisung auf neue Tendenzen und Formen antijüdischer und antisemitischer Vorurteile, Stereotypen, Metaphern und Diskurse reagiert.
"Den Weg von ‚Nostra Aetate‘ fortsetzen"
Zugleich sei es geboten, so Bischof Zsifkovics, auch die schuldhafte Verflechtung und Rolle der Christenheit und der Kirche in der sich über die Jahrhunderte fortspinnenden und festigenden Entwicklung des Antijudaismus zu bekennen, eine Entwicklung, die letztlich im Holocaust kulminierte. "Vor 50 Jahren wurde mit der Konzilserklärung ‚Nostra Aetate‘ eine epochemachende Wende im Verhältnis zum Judentum eröffnet, weil darin nicht nur jeder Form von theologischem Antijudaismus, jedwede Verfolgung des Judentums eine deutliche Absage erteilt wurde, sondern auch die Mitschuld der Kirche an der Ausbildung des traditionellen Antijudaismus bekannt wurde". So entscheidend "Nostra Aetate" auch für die Wende des jüdisch-christlichen Verhältnisses sei, so dürfe man sich heute nicht bloß mit Zitaten und Rückverweisen auf die Konzilserklärung beschränken. "Der damit eröffnete Weg muss fortgesetzt und mit Leben erfüllt werden".
"Geschwisterlich, nicht missionarisch"
Schließlich gelte es zu verstehen, dass das Verhältnis zum Judentum keine bloß äußerliche Bezugnahme, sondern die christliche Identität selbst betreffe. "Ein Christentum, das seine jüdische Wurzeln vergisst, verleugnet, kappt oder ignoriert, wird spirituell austrocknen", mahnt der Diözesanbischof. Daraus sei freilich keineswegs einem vereinnahmenden Verhältnis das Wort geredet. Vielmehr müsse die Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit, das unaufhebbare Anders- und So-Sein des jüdischen Du nicht bloß respektiert, sondern auch honoriert werden. "Eine missionarische Hybris ist hier definitiv fehl am Platz. Das Verhältnis zu unseren jüdischen Schwestern und Brüdern muss ein geschwisterliches und darf kein missionarisches sein", unterstreicht Bischof Zsifkovics.
Spiritualität braucht Sensibilisierung für das Leid
Einmal mehr brachte der Diözesanbischof das große Wort des Theologen Karl Rahner in Erinnerung: "Der Fromme der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein". Doch diese für die Zukunftsfähigkeit und Zukunftsoffenheit des Christentums entscheidende Re-Spiritualisierung müsse einher gehen mit Empathie, mit einer Kultur des Erinnerns und des Mitgefühls für das Leid der Menschheit und zugleich an der Humanität – eine Leidensgeschichte, die ihren Kulminationspunkt im Holocaust, dem systematisch-industriellen Massenmord an 6 Millionen Juden erfuhr. "Niemals dürfen wir dafür blind und unempfindlich werden. Denn das wäre der Anfang vom Ende der Humanität und eines humanitären Bewusstseins. Wahre Spiritualität führt gerade nicht zu Indifferenz und zur Immunisierung gegenüber dem Leid, sondern zur Sensibilisierung und Solidarisierung", sagt Bischof Zsifkovics.
Tausende burgenländische Juden ermordet
Im Burgenland lebten vor dem "Anschluss"Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im Jahr 1938 rund 4.000 Juden. Mindestens ein Drittel von ihnen wurde im Zuge des Holocaust ermordet, den anderen gelang die Flucht vor dem NS-Terror, viele von ihnen emigrierten nach Israel, nach Australien oder in die USA. Kaum jemand kam nach dem Grauen der NS-Herrschaft zurück. Bereits im Juni 1938 wurden Juden aus burgenländischen Gemeinden wie Deutschkreuz, Lackenbach und Rechnitz vertrieben, in den folgenden Monaten auch aus Frauenkirchen, Kobersdorf, Mattersburg und Eisenstadt. Gauleiter Tobias Portschy, ein fanatischer, von einer menschenverachtend-rassistischen Ideologie getriebener Nationalsozialist, der neben antisemitischer Hetze und Verfolgung u.a. auch die Hassschrift "Die Zigeunerfrage" verfasste, erklärte bereits im November 1938 stolz das Burgenland als ersten Gau als "judenfrei". Von jenen rund 1.700 burgenländischen Juden, die der Rassenwahn und Terror der Nazis zunächst nach Wien brachte, gelang kaum jemanden mehr die Flucht: sie wurden ab 1941 in die Konzentrations- und Vernichtungslager in Osteuropa deportiert und dort ermordet.