Neuer Bereich kirchlicher Hirtensorge soll einer der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit Rechnung tragen – Eisenstädter Bischof wird nach Betrauung mit kirchlichen Asylagenden auf EU-Ebene nun auch für die Kirche in Österreich die Flüchtlingsthematik in den koordinierenden Blick nehmen – Ägidius Zsifkovics: "Bin nicht Superman, habe aber eine dicke Haut und eine deutliche Sprache."
Er war die treibende Kraft für das starke Engagement kirchlicher Einrichtungen im Burgenland bei der Beherbergung von Menschen auf der Flucht; Ende Oktober wählten ihn die EU-Bischöfe zu ihrem "Flüchtlingskoordinator“; beim Martinsfest der Diözese Eisenstadt am 11. November haben ihn Flüchtlinge bei der Festmesse im randvollen Martinsdom "kalt erwischt" mit einer berührenden Danksagung für sein Flüchtlingsengagement; nun hat ihm die Österreichische Bischofskonferenz auf ihrer am vergangenen Freitag zu Ende gegangenen Herbstvollversammlung auch noch das brandneu geschaffene Referat "Flucht, Migration und Integration" zur Leitung anvertraut: Das Thema "Flüchtlinge" und mit ihm eine der größten Herausforderungen unserer Zeit scheint sich immer mehr zu einer der Signaturen des Bischofs von Eisenstadt zu entwickeln, der selbst am Eisernen Vorhang aufgewachsen, in weit bemessenen Räumen sprachlicher, kultureller und bildungsmäßiger Vielfalt sozialisiert worden ist, und der nicht müde wird zu betonen, dass auch Jesus ein Flüchtling gewesen sei und das Thema Flucht und Migration in allen Weltreligionen eine zentrale Rolle spiele.
Neues Referat "Flucht, Migration und Integration": Keine Patentrezepte, aber aufmerksames Beobachten und Setzen starker Impulse
"Weil Flucht, Migration und Integration zu den großen Herausforderungen unserer Zeit zählen, hat die Bischofskonferenz dafür einen neuen Aufgabenbereich festgelegt und den Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics damit beauftragt"– mit diesen Worten kündigte die Österreichische Bischofskonferenz Ende vergangener Woche die neuen Agenden an. Dass es dankbarere Aufgaben gibt, stellt Bischof Zsifkovics in einem Interview in der aktuellen Wochenendausgabe von DER STANDARD gar nicht in Abrede, sondern sieht es pragmatisch: "Nachdem ich als Bischof von Eisenstadt durch die Ereignisse und den großen Ansturm beim Grenzübergang Nickelsdorf schon sehr tief in der Materie drinnen bin, war es naheliegend, dass man auf mich zurückgreift." Tatsächlich kennt der Bischof die Themen und Problemfelder, die auf ihn nun auf Österreichebene warten, bestens aus der Erstbegegnung mit dem Migrationssturm an der eigenen Diözesangrenze: Zu wenig Grundversorgungsplätze für AsylwerberInnen, sodass immer mehr Menschen auf der Flucht von Obdachlosigkeit betroffen sind; unzureichende Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge; Schaffung winterfester Notunterkünfte für jene Flüchtlinge, die auf der Durchreise sind; die Forderung nach fairen, qualitätsvollen und raschen Asylverfahren sowie der effektiven Bekämpfung von Schlepperei und Menschenhandel.
Öffentliche Ordnung und gelingende Integration als zweite Seite der Medaille
Besonderes Augenmerk wolle Bischof Zsifkovics in seiner neuen Aufgabe darauf legen, "dass im öffentlichen Diskurs zwischen Asyl und Migration unterschieden wird. Das ist nämlich die andere, nicht minder wichtige Seite der Medaille. Gerade weil Menschen aus dem Chaos flüchten und bei uns Sicherheit suchen, ist die Aufrechterhaltung der rechtsstaatlichen Ordnung in unserem Land für die Politik unabdingbare Verpflichtung – bei aller Sensibilität, die diese Pflicht des Staates erfordert", so Bischof Zsifkovics, der wiederholt erklärt hat, "kein Freund von Zäunen" zu sein. Die Kirche müsse immer wieder in Erinnerung rufen, "dass aus der Quartierkrise von heute nicht die Integrationskrise von morgen" werden darf. Spracherwerb, Bildung und Zugang zu Arbeit seien wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Eingliederung in die Gesellschaft, wobei Asylsuchende wie auch Zuwanderer die unbedingte Geltung der Menschenrechte und die demokratische Verfassung in Österreich anerkennen müssten. "Dazu zählen besonders Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau. Ziel der Integration muss die gemeinsame Liebe zu Österreich sein, die die Menschen in diesem Land verbindet", so die Bischofskonferenz in ihrer Presseerklärung nach der Herbstvollversammlung.
Flüchtlinge danken Eisenstädter Bischof persönlich für Aufnahme
So nüchtern Ägidius Zsifkovics die Dinge auch anzugehen und auszusprechen scheint: Am Martinstag war es vor allem für Freunde und MitarbeiterInnen des Bischofs berührend zu sehen, wie menschlich nah ihm die Dankesworte gingen, die im Eisenstädter Dom von den syrischen Asylwerbern Khajik Kawafian und Abdulhadi Briman stellvertretend für die vielen anderen gesprochen wurden, die in den vergangenen Monaten in der Diözese Eisenstadt ein Dach über dem Kopf gefunden haben. "Sie haben uns in Eisenstadt aufgenommen – dafür sind wir Ihnen sehr dankbar!" Khajik, ein armenischer Christ aus Aleppo, und Abdulhadi aus Homs feierten anschließend mit burgenländischen Christen das Martinsfest und teilten nach dem Gottesdienst mit dem Bischof vor der Kirche ein "Martinskipferl". Was als schöner Brauch des Teilens nett anzusehen ist, ist vor dem Hintergrund der Realität einer zunehmend als "Völkerwanderung" apostrophierten Migrationsbewegung aus Regionen des Nahen Ostens und Afrikas zum brisanten Symbol einer Situation geworden, in der die Beantwortung der Frage nach dem Teilen – von Rechten und Ressourcen, von Lebensraum und Freiraum, von Zeit und Zuwendung – die Gesellschaft und das politische System in Europa auf einen zivilisatorischen Prüfstand stellt. Ein Prüfstand, auf dem "die europäische Karosserie", wie Bischof Zsifkovics sagt, "ohne den Motor der Spiritualität, der Solidarität und der Barmherzigkeit nicht weiter vom Fleck kommt, sondern zur lahmen Ente zu werden droht". Wird Europa es schaffen, sich seines großen Heiligen aus der Zeit der Völkerwanderung, Martin von Tours, zu entsinnen und die Bereitschaft aufbringen, genügend "Martinskipferln" zu teilen? Und warum teilt man in Eisenstadt offensichtlich bereitwilliger? Ein verstorbener Papst und ein lebender Wissenschaftler geben darauf eine mögliche Antwort.
Eine Diözese als "Brücke" und als europäischer "Barometer"
Als Johannes Paul II. 1988 die Diözese Eisenstadt besuchte, war Ägidius Zsifkovics ein junger, spindeldürrer Priester, als Zeremoniär des damaligen Eisenstädter Bischofs Stefan László von seinem Chef damit beauftragt, den Besuch des Pontifex liturgisch vorzubereiten. Der damalige Aufruf des Papstes an die Katholiken des Burgenlandes, geistig-geistliche "Brücke zum Osten" zu sein, hat sich in Ägidius Zsifkovics tief eingeprägt. Ein Jahr später kam es zum Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs. Die Worte des später heiliggesprochenen Karol Wojtila hatten etwas Prophetisches an sich gehabt. "Ich kann mit Fug und Recht sagen", so Ägidius Zsifkovics in Erinnerung an seine Leseübungen mit Johannes Paul II., "dass ich einem Heiligen beigebracht habe, die Worte der Messe auf Kroatisch und auf Ungarisch korrekt auszusprechen – ich hätte mir aber nie gedacht, dass sich der Aufruf diese Mannes, Grenzen zu überwinden, einmal so sehr über meine eigene Person und Lebensenergie artikulieren würde", so der heutige Eisenstädter Bischof mit einem verschmitzten Lächeln. Denn die Rede von der Brückenfunktion hat Ägidius Zsifkovics in seiner 5-jährigen Amtszeit als Bischof von Eisenstadt schweißtreibend-wörtlich genommen: sei es die Pflege intensiver Beziehungen zu den Bischöfen osteuropäischer Diözesen; sei es der regelmäßige Austausch mit politischen Entscheidungsträgern und Diplomaten östlicher Nachbarländer; sei es die Freundschaft mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel und der Orthodoxen Kirche und ihrer ostkirchlichen Tradition; sei es der hemdsärmelig-pragmatische Umgang mit den Migrationsströmen aus Regionen des Nahen Ostens – die Diözese Eisenstadt ist auf dem besten Weg, sich aus einer Position des Beschaulichen weiter zu entwickeln zum Katalysator weit ausstrahlender Prozesse zwischen Ost und West im Geiste des Evangeliums: Als vergleichsweise sehr junge, mehrsprachige und multikulturelle Diözese liege sie "an der Nahtstelle zwischen dem Westen und Osten in Europa. Sie ist zwar nicht groß, aber was auch in Europa passiert: Sie spürt es schnell und deutlich", so der Paderborner Pastoraltheologe und Experte für kirchliche Change-Prozesse Christoph Jacobs, der Bischof Zsifkovics und die Diözese dabei unterstützt hat, einen synodalen Prozess im Burgenland einzuleiten, um auch innerhalb der diözesanen Grenzen einen nachhaltigen Brückenschlag zu vollziehen: hin zu einer neuen, den Lebenswelten heutiger Menschen Rechnung tragenden Pastoral, die sich von sklerotischen Strukturen, veralteten Mustern unreflektierten Gewohnheitschristentums und von unerfüllbaren Versorgungserwartungen eines säkular unterwanderten Wohlstandkatholizismus verabschiedet und andockt an das Engagement begeisterungs- und teamfähiger Christen. "Zeitgenossenschaft" als Charisma einer Diözese und ihre Fähigkeit, gesellschaftliche Umbrüche in spirituelle Aufbrüche zu transformieren.
Zsifkovics privat: "Manchmal ganz schön anstrengend, Brückenpfeiler zu sein"
Im Interview mit dem Büro für Kommunikation und Information der Diözese Eisenstadt kurz nach der Betrauung mit der neuen Österreich-Aufgabe lässt der Bischof ungewöhnlich tief blicken: "In dieser intensiven Kumulation drücken die vielen heiklen Verantwortungen schon sehr auf meine Schultern. Über eine solide gebaute Brücke gehen, ist eine bequeme Sache; an der Brücke aber selbst mitzubauen und auch noch Brückenpfeiler zu sein, kann manchmal doch ganz schön anstrengend sein. Ich bin schließlich nicht Superman!" Aber dann denke er wieder daran, "welche Lasten der heilige Papst Johannes Paul II. in seinem Leben bewegt hat. Und dann wird mir mit meinen vergleichsweise kleinen Aufgaben wieder leichter ums Herz und ich sage mir: Ich bin nur ein Werkzeug höherer Zusammenhänge und es wird schon alles seine Bedeutung gehabt haben: dass ich am Eisernen Vorhang aufgewachsen bin, als Kind einer Minderheiten-Volksgruppe und frommer Eltern, die in mir das Sensorium dafür geweckt haben, dass es für Gottes Liebe keine Grenzen gibt; und dass ich heute mit dieser seelischen Grundausstattung in diese schwierigen kirchlichen Funktionen mehr oder weniger hineinfalle – und es mit meinem Glauben und meiner dicken Haut irgendwie schaffe, manche Dinge auszugleichen, Antagonismen zu entschärfen, gesellschaftliche Bruchstellen zu überbrücken. Aber: Ohne das klare Wort zur rechten Zeit geht gar nichts!", so Bischof Zsifkovics, der sich nach der Tragödie auf der burgenländischen A4 mit 71 toten Flüchtlingen in einem LKW im August dieses Jahres in aller Schärfe an die europäische Politik gewandt hatte.
Er war die treibende Kraft für das starke Engagement kirchlicher Einrichtungen im Burgenland bei der Beherbergung von Menschen auf der Flucht; Ende Oktober wählten ihn die EU-Bischöfe zu ihrem "Flüchtlingskoordinator“; beim Martinsfest der Diözese Eisenstadt am 11. November haben ihn Flüchtlinge bei der Festmesse im randvollen Martinsdom "kalt erwischt" mit einer berührenden Danksagung für sein Flüchtlingsengagement; nun hat ihm die Österreichische Bischofskonferenz auf ihrer am vergangenen Freitag zu Ende gegangenen Herbstvollversammlung auch noch das brandneu geschaffene Referat "Flucht, Migration und Integration" zur Leitung anvertraut: Das Thema "Flüchtlinge" und mit ihm eine der größten Herausforderungen unserer Zeit scheint sich immer mehr zu einer der Signaturen des Bischofs von Eisenstadt zu entwickeln, der selbst am Eisernen Vorhang aufgewachsen, in weit bemessenen Räumen sprachlicher, kultureller und bildungsmäßiger Vielfalt sozialisiert worden ist, und der nicht müde wird zu betonen, dass auch Jesus ein Flüchtling gewesen sei und das Thema Flucht und Migration in allen Weltreligionen eine zentrale Rolle spiele.
Neues Referat "Flucht, Migration und Integration": Keine Patentrezepte, aber aufmerksames Beobachten und Setzen starker Impulse
"Weil Flucht, Migration und Integration zu den großen Herausforderungen unserer Zeit zählen, hat die Bischofskonferenz dafür einen neuen Aufgabenbereich festgelegt und den Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics damit beauftragt"– mit diesen Worten kündigte die Österreichische Bischofskonferenz Ende vergangener Woche die neuen Agenden an. Dass es dankbarere Aufgaben gibt, stellt Bischof Zsifkovics in einem Interview in der aktuellen Wochenendausgabe von DER STANDARD gar nicht in Abrede, sondern sieht es pragmatisch: "Nachdem ich als Bischof von Eisenstadt durch die Ereignisse und den großen Ansturm beim Grenzübergang Nickelsdorf schon sehr tief in der Materie drinnen bin, war es naheliegend, dass man auf mich zurückgreift." Tatsächlich kennt der Bischof die Themen und Problemfelder, die auf ihn nun auf Österreichebene warten, bestens aus der Erstbegegnung mit dem Migrationssturm an der eigenen Diözesangrenze: Zu wenig Grundversorgungsplätze für AsylwerberInnen, sodass immer mehr Menschen auf der Flucht von Obdachlosigkeit betroffen sind; unzureichende Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge; Schaffung winterfester Notunterkünfte für jene Flüchtlinge, die auf der Durchreise sind; die Forderung nach fairen, qualitätsvollen und raschen Asylverfahren sowie der effektiven Bekämpfung von Schlepperei und Menschenhandel.
Öffentliche Ordnung und gelingende Integration als zweite Seite der Medaille
Besonderes Augenmerk wolle Bischof Zsifkovics in seiner neuen Aufgabe darauf legen, "dass im öffentlichen Diskurs zwischen Asyl und Migration unterschieden wird. Das ist nämlich die andere, nicht minder wichtige Seite der Medaille. Gerade weil Menschen aus dem Chaos flüchten und bei uns Sicherheit suchen, ist die Aufrechterhaltung der rechtsstaatlichen Ordnung in unserem Land für die Politik unabdingbare Verpflichtung – bei aller Sensibilität, die diese Pflicht des Staates erfordert", so Bischof Zsifkovics, der wiederholt erklärt hat, "kein Freund von Zäunen" zu sein. Die Kirche müsse immer wieder in Erinnerung rufen, "dass aus der Quartierkrise von heute nicht die Integrationskrise von morgen" werden darf. Spracherwerb, Bildung und Zugang zu Arbeit seien wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Eingliederung in die Gesellschaft, wobei Asylsuchende wie auch Zuwanderer die unbedingte Geltung der Menschenrechte und die demokratische Verfassung in Österreich anerkennen müssten. "Dazu zählen besonders Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau. Ziel der Integration muss die gemeinsame Liebe zu Österreich sein, die die Menschen in diesem Land verbindet", so die Bischofskonferenz in ihrer Presseerklärung nach der Herbstvollversammlung.
Flüchtlinge danken Eisenstädter Bischof persönlich für Aufnahme
So nüchtern Ägidius Zsifkovics die Dinge auch anzugehen und auszusprechen scheint: Am Martinstag war es vor allem für Freunde und MitarbeiterInnen des Bischofs berührend zu sehen, wie menschlich nah ihm die Dankesworte gingen, die im Eisenstädter Dom von den syrischen Asylwerbern Khajik Kawafian und Abdulhadi Briman stellvertretend für die vielen anderen gesprochen wurden, die in den vergangenen Monaten in der Diözese Eisenstadt ein Dach über dem Kopf gefunden haben. "Sie haben uns in Eisenstadt aufgenommen – dafür sind wir Ihnen sehr dankbar!" Khajik, ein armenischer Christ aus Aleppo, und Abdulhadi aus Homs feierten anschließend mit burgenländischen Christen das Martinsfest und teilten nach dem Gottesdienst mit dem Bischof vor der Kirche ein "Martinskipferl". Was als schöner Brauch des Teilens nett anzusehen ist, ist vor dem Hintergrund der Realität einer zunehmend als "Völkerwanderung" apostrophierten Migrationsbewegung aus Regionen des Nahen Ostens und Afrikas zum brisanten Symbol einer Situation geworden, in der die Beantwortung der Frage nach dem Teilen – von Rechten und Ressourcen, von Lebensraum und Freiraum, von Zeit und Zuwendung – die Gesellschaft und das politische System in Europa auf einen zivilisatorischen Prüfstand stellt. Ein Prüfstand, auf dem "die europäische Karosserie", wie Bischof Zsifkovics sagt, "ohne den Motor der Spiritualität, der Solidarität und der Barmherzigkeit nicht weiter vom Fleck kommt, sondern zur lahmen Ente zu werden droht". Wird Europa es schaffen, sich seines großen Heiligen aus der Zeit der Völkerwanderung, Martin von Tours, zu entsinnen und die Bereitschaft aufbringen, genügend "Martinskipferln" zu teilen? Und warum teilt man in Eisenstadt offensichtlich bereitwilliger? Ein verstorbener Papst und ein lebender Wissenschaftler geben darauf eine mögliche Antwort.
Eine Diözese als "Brücke" und als europäischer "Barometer"
Als Johannes Paul II. 1988 die Diözese Eisenstadt besuchte, war Ägidius Zsifkovics ein junger, spindeldürrer Priester, als Zeremoniär des damaligen Eisenstädter Bischofs Stefan László von seinem Chef damit beauftragt, den Besuch des Pontifex liturgisch vorzubereiten. Der damalige Aufruf des Papstes an die Katholiken des Burgenlandes, geistig-geistliche "Brücke zum Osten" zu sein, hat sich in Ägidius Zsifkovics tief eingeprägt. Ein Jahr später kam es zum Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs. Die Worte des später heiliggesprochenen Karol Wojtila hatten etwas Prophetisches an sich gehabt. "Ich kann mit Fug und Recht sagen", so Ägidius Zsifkovics in Erinnerung an seine Leseübungen mit Johannes Paul II., "dass ich einem Heiligen beigebracht habe, die Worte der Messe auf Kroatisch und auf Ungarisch korrekt auszusprechen – ich hätte mir aber nie gedacht, dass sich der Aufruf diese Mannes, Grenzen zu überwinden, einmal so sehr über meine eigene Person und Lebensenergie artikulieren würde", so der heutige Eisenstädter Bischof mit einem verschmitzten Lächeln. Denn die Rede von der Brückenfunktion hat Ägidius Zsifkovics in seiner 5-jährigen Amtszeit als Bischof von Eisenstadt schweißtreibend-wörtlich genommen: sei es die Pflege intensiver Beziehungen zu den Bischöfen osteuropäischer Diözesen; sei es der regelmäßige Austausch mit politischen Entscheidungsträgern und Diplomaten östlicher Nachbarländer; sei es die Freundschaft mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel und der Orthodoxen Kirche und ihrer ostkirchlichen Tradition; sei es der hemdsärmelig-pragmatische Umgang mit den Migrationsströmen aus Regionen des Nahen Ostens – die Diözese Eisenstadt ist auf dem besten Weg, sich aus einer Position des Beschaulichen weiter zu entwickeln zum Katalysator weit ausstrahlender Prozesse zwischen Ost und West im Geiste des Evangeliums: Als vergleichsweise sehr junge, mehrsprachige und multikulturelle Diözese liege sie "an der Nahtstelle zwischen dem Westen und Osten in Europa. Sie ist zwar nicht groß, aber was auch in Europa passiert: Sie spürt es schnell und deutlich", so der Paderborner Pastoraltheologe und Experte für kirchliche Change-Prozesse Christoph Jacobs, der Bischof Zsifkovics und die Diözese dabei unterstützt hat, einen synodalen Prozess im Burgenland einzuleiten, um auch innerhalb der diözesanen Grenzen einen nachhaltigen Brückenschlag zu vollziehen: hin zu einer neuen, den Lebenswelten heutiger Menschen Rechnung tragenden Pastoral, die sich von sklerotischen Strukturen, veralteten Mustern unreflektierten Gewohnheitschristentums und von unerfüllbaren Versorgungserwartungen eines säkular unterwanderten Wohlstandkatholizismus verabschiedet und andockt an das Engagement begeisterungs- und teamfähiger Christen. "Zeitgenossenschaft" als Charisma einer Diözese und ihre Fähigkeit, gesellschaftliche Umbrüche in spirituelle Aufbrüche zu transformieren.
Zsifkovics privat: "Manchmal ganz schön anstrengend, Brückenpfeiler zu sein"
Im Interview mit dem Büro für Kommunikation und Information der Diözese Eisenstadt kurz nach der Betrauung mit der neuen Österreich-Aufgabe lässt der Bischof ungewöhnlich tief blicken: "In dieser intensiven Kumulation drücken die vielen heiklen Verantwortungen schon sehr auf meine Schultern. Über eine solide gebaute Brücke gehen, ist eine bequeme Sache; an der Brücke aber selbst mitzubauen und auch noch Brückenpfeiler zu sein, kann manchmal doch ganz schön anstrengend sein. Ich bin schließlich nicht Superman!" Aber dann denke er wieder daran, "welche Lasten der heilige Papst Johannes Paul II. in seinem Leben bewegt hat. Und dann wird mir mit meinen vergleichsweise kleinen Aufgaben wieder leichter ums Herz und ich sage mir: Ich bin nur ein Werkzeug höherer Zusammenhänge und es wird schon alles seine Bedeutung gehabt haben: dass ich am Eisernen Vorhang aufgewachsen bin, als Kind einer Minderheiten-Volksgruppe und frommer Eltern, die in mir das Sensorium dafür geweckt haben, dass es für Gottes Liebe keine Grenzen gibt; und dass ich heute mit dieser seelischen Grundausstattung in diese schwierigen kirchlichen Funktionen mehr oder weniger hineinfalle – und es mit meinem Glauben und meiner dicken Haut irgendwie schaffe, manche Dinge auszugleichen, Antagonismen zu entschärfen, gesellschaftliche Bruchstellen zu überbrücken. Aber: Ohne das klare Wort zur rechten Zeit geht gar nichts!", so Bischof Zsifkovics, der sich nach der Tragödie auf der burgenländischen A4 mit 71 toten Flüchtlingen in einem LKW im August dieses Jahres in aller Schärfe an die europäische Politik gewandt hatte.